Ich kann mir den Zustand Ihres Arbeitens recht gut denken. Ohne ein lebhaftes pathologisches Interes
Ich kann mir den Zustand Ihres Arbeitens recht gut denken. Ohne ein lebhaftes pathologisches Interesse ist es auch mir niemals gelungen irgend eine tragische Situation zu bearbeiten, und ich habe sie daher lieber vermieden als aufgesucht. Sollte es wohl auch einer von den Vorzügen der Alten gewesen sein, daß das höchste Pathetische auch nur ästhetisches Spiel bei ihnen gewesen wäre, da bei uns die Naturwahrheit mitwirken muß um ein solches Wert hervorzubringen? Ich kenne mich zwar nicht selbst genug, um zu wissen ob ich eine wahre Tragödie schreiben könnte; ich erschrecke aber blos vor dem Unternehmen und bin beinahe überzeugt daß ich mich durch den bloßen Versuch zerstören könnte.Noch habe ich vierzehn Tage zu thun um manches einzuleiten, die neuen Theatercontracte in Ordnung zu bringen und was andere Dinge mehr sind. Dann will ich aber auch gleich zu meiner Tageseinsamkeit des Jenaischen Schlosses und zu unsern Abendgesprächen eilen.Meyern werde ich wohl nicht mitbringen, denn ich habe die Erfahrung wieder erneuert: daß ich nur in einer absoluten Einsamkeit arbeiten kann, und daß nicht etwa nur das Gespräch, sondern sogar schon die häusliche Gegenwart geliebter und geschätzter Personen meine poetische Quellen gänzlich ableitet. Ich würde jetzt in einer Art von Verzweiflung sein, weil auch jede Spur eines produktiven Interesse bei mir verschwunden ist, wenn ich nicht gewiß wäre es in den ersten acht Tagen in Jena wiederzufinden.Goethe to Schiller, 9 December 1797 -- source link
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