Als „Meilenstein der Erinnerungskultur“[1] gilt die kitschige TV-Miniserie „Holocaust“, die 1978 ers
Als „Meilenstein der Erinnerungskultur“[1] gilt die kitschige TV-Miniserie „Holocaust“, die 1978 erstmals in den USA ausgestrahlt wurde. Ein Jahr später sendete auch das ARD die „Geschichte der Familie Weiß“, so der deutsche Untertitel der dramatischen Inszenierung, und erschuf damit ein Medienereignis, das zum 40-jährigen Jubiläum scheinbar wiederholt werden soll.[2] Wie die Süddeutsche Zeitung titelt, soll die Einfühlung eines Massenpublikums in die Judenvernichtung wiederholt werden. Wahrscheinlich um überhaupt mal wieder etwas zu spüren.Und noch ein weiteres Medienspektakel feiert 2019 Jubiläum: auch Steven Spielbergs Spielfilm Schindlers Liste wird anlässlich des Holocaustgedenktages am 27. Januar nach 25 Jahren wieder in den deutschen Kinos gespielt. Der Journalist und Kritiker Eike Geisel fand seinerzeit die wohl trefflichsten Worte zu diesen beiden TV Produktionen, die wahrlich einen Meilenstein bedeutet haben, für das, was er die „Wiedergutwerdung der Deutschen“ nannte. Zum Kinostart von Schindlers Liste kommentierte er 1994: „Vor fünfzehn Jahren flossen Tränen der Rührung anläßlich der TV-Serie »Holocaust«, und der Spiegel titelte »Eine Nation ist betroffen«. Jetzt fließen wieder Tränen, aber diesmal auch solche des Stolzes. Damals verloren die Deutschen zwar die Contenance, aber endlich gab es wieder eine Geschichte, deren Höhepunkt entschlossen gegen den Vorwurf verteidigt wurde, man habe den Massenmord bloß bei den Bolschewisten abgekupfert. Jetzt sind sie nicht nur wie Gläubige nach der Beichte erleichtert und froh darüber, daß ihre Untaten weder auf Erden noch im Himmel vergolten werden, sondern jetzt wurde, was sie immer vermutet hatten, als erlösende Gewißheit bestätigt: Auschwitz war, man mußte es jahrzehntelang in seinem Innern unterdrücken, doch noch gut ausgegangen.“[3]Für die Deutschen war das Happy End der TV-Produktionen über den Massenmord an den Juden demnach eine segensreiche Befreiung. Geisels Kritik an der bundesdeutschen „Erinnerungskultur“, die Auschwitz mittels einer Identifikation mit den NS-Opfern zu bewältigen versuchte, firmiert mittlerweile seit bereits seit über 20 Jahren als Staatsräson der BRD.Was in der post-nationalsozialistischen Berliner Republik eine „Erlösung“[4] von Schuld und Verantwortung bedeutet hat, ist heute längst auch global zu einer positiven Sinnstiftung der Shoah verkommen. Spielberg, der Regisseur von Schindlers Liste und Gründer der USC Shoah Foundation, eine Stiftung, die seit 1994 weltweit über 50.000 Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden produziert hat, ist sich sicher, dass sein „storytelling“[5] der beste Weg ist, um „Hass“ entgegen zu treten. Seine Erzählung des Holocaust mit Happy End hat sich zielsicher ebenso in den unüberblickbaren Datenbergen der Interviews mit Holocaust-Überlebenden, denen hierzulande als „Zeitzeugen“ mit einer Hass-Liebe begegnet wird, durchgesetzt.[6] Einerseits schwingt in der seit den 1980er (!) Jahren ritualisierten Formel vom „Aussterben der Zeitzeugen“ der heimliche Wunsch mit, die übriggebliebenen Zeugen des Massenmordes sollten endlich vom Erdboden verschwinden. Andererseits ist die ‚Einfühlung ins Grauen‘ mittels der Geschichten auf Video – und dem neuesten Stand der Technik verpflichtet mittlerweile auch als virtuelle Hologramme - zwar grausam und emotional zutiefst belastend, aber zugleich ein Erlebnis, das in verträglich portionierten Stücken einwandfrei konsumierbar ist. Solange am Ende die Moral von der Geschichte eindeutig ist: es ist ja nochmal gutgegangen. Was also bedeutet die neuerliche Ausstrahlung der „Soup Opera“ (Elie Wiesel) Holocaust und der Geschichte über den guten Deutschen Schindler im deutschen Fernsehen im Jahr 2019? Womöglich, dass noch immer nichts begriffen worden ist. Dass Auschwitz 74 Jahre nach Kriegsende zwar präsenter denn je in den Medien und der öffentlichen Debatte vertreten ist, aber stets nur als Verweis auf eine dunkle Vergangenheit und zugleich Sinnbild für die Möglichkeit aus Scheiße Gold zu machen: sechs Millionen Tote Juden bedeuten heute Einschaltquoten im Millionenbereich. Wiederholt wird 2019 zwar nicht, wie die falsche Grammatik des SZ-Tweets nahelegt, die Judenvernichtung, aber neben der seichten Unterhaltung geht das Morden in der Welt munter weiter. Ende Januar wird es voller Pathos dann wieder in den Reden von Politikern und in den obligatorischen facebook-postings heißen: „Nie wieder!“[1] Vgl. Stefan Reinecke, US-Fernsehserie „Holocaust“. Ein Meilenstein der Erinnerungskultur, Deutschlandfunk Kultur (07.01.2019), URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/us-fernsehserie-holocaust-ein-meilenstein-der.1005.de.html?dram:article_id=437527&fbclid=IwAR1FJXPVgDgujGjqOLAuSz-sdvq5CEcp9GE3OnjSvOck0lKq87MEe1lvm_A[2] Jürgen Wilke, Die Fernsehserie „Holocaust“ als Medienereignis, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Die Fernsehserie „Holocaust“ – Rückblicke auf eine „betroffene Nation“, hrsg. von Christoph Classen, März 2004, URL: https://zeitgeschichte-online.de/thema/die-fernsehserie-holocaust [3] Eike Geisel, E.T. bei den Deutschen. Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz (1994), wiederabgedruckt in: Ders., Die Wiedergutwerdung der Deutschen, Essays und Polemiken, Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Klaus Bittermann, Berlin 2015, S. 171-190, hier S. 177.[4] Vgl. Ulrike Jureit: Opferidentifikation und Erlösungshoffnung: Beobachtungen im erinnerungspolitischenRampenlicht, in: Ulrike Jureit/Christian Schneider (Hrsg.), Gefühlte Opfer. Illussionen der Vergangenheitsbewältigung, Bonn 2010, S. 17-103.[5] Adam Popescu, Steven Spielberg on Storytelling’s Power to Fight Hate, in: New York Times (18.12.18), URL: https://www.nytimes.com/2018/12/18/arts/design/steven-spielberg-shoah-foundation-schindlers-list.html[6] Vgl. Linde Apel, “You are participating in history”. Das Visual History Archive der Shoah Foundation, in: Zeithistorische Forschungen 5, 2008, S. 438–445, hier S. 440. -- source link
Tumblr Blog : tough-buff.tumblr.com
#holocaust#schindlers liste#wiederholungszwang#eike geisel#nie wieder