Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der
Ich habe mich dieser Tage viel damit beschäftigt, einen Stoff zur Tragödie aufzufinden, der von der Art des Oedipus Rex wäre und dem Dichter die nämlichen Vortheile verschaffte. Diese Vortheile sind unermeßlich, wenn ich auch nur des einzigen erwähne, daß man die zusammengesetzteste Handlung, welche der tragischen Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde legen kann, indem diese Handlung ja schon geschehen ist, und mithin ganz jenseits der Tragödie fällt. Dazu kommt, daß das Geschehene, als unabänderlich, seiner Natur nach viel fürchterlicher ist, und die Furcht daß etwas geschehen sein möchte, das Gemüth ganz anders afficirt, als die Furcht, daß etwas geschehen möchte.Der Oedipus ist gleichsam nur eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt. Das kann in der einfachsten Handlung und in einem sehr kleinen Zeitmoment geschehen, wenn die Begebenheiten auch noch so complicirt und von Umständen abhängig waren. Wie begünstigt das nicht den Poeten!Aber ich fürchte, der Oedipus ist seine eigene Gattung und es giebt keine zweite Species davon; am allerwenigsten würde man aus weniger fabelhaften Zeiten ein Gegenstück dazu auffinden können. Das Orakel hat einen Antheil an der Tragödie, der schlechterdings durch nichts anderes zu ersetzen ist; und wollte man das Wesentliche der Fabel selbst, bei veränderten Personen und Zeiten, beibehalten, so würde lächerlich werden, was jetzt furchtbar ist.Schiller to Goethe, 2 October 1797 -- source link
Tumblr Blog : lessthansix.tumblr.com
#schiller#goethe#lessthansix reads