»Fischer hat erzählt? – – Ach, nicht doch; das Ganze geht ungefähr so vo
»Fischer hat erzählt? – – Ach, nicht doch; das Ganze geht ungefähr so vor sich. – Du wirst oben geboren, und lebst – : nein; 1801 bis 77; iss doch egal ! –. Dann ›stirbst‹ Du; das ist ziemlich unangenehm; Beängstigungen, weißt Du, so Luftmangel : ahhhh ! Herz bleibt stehen. Aber das Bewußtsein setzt meist sehr rasch aus –« sie gab der Luft einen gleichgültigen Klaps : »Jedenfalls Du erwachst wieder. Dämmerungen und Stimmengemurmel. In einer Riesenhalle – ungefähr wie ne Reitbahn – in einer Menschenschlange. Wenn Du vorn am Schalter bist, füllen sie Karteikarten aus; Du erhälst Deinen Personalausweis; gehst weiter durch; wirst erneut abgestempelt; mit früheren Bekannten konfrontiert – darunter mindestens 2 Feinde ! –. Ein Omnibus fährt Dich zum Bahnhof; Du steigst in Deinen betreffenden Zug ein, kriegst Reiseverpflegung und so – und landest an dem Dir zugewiesenen Ort.« Wählen? : »Hm – kaum ! – Du darfst wohl sagen, Du möchtest gern mit Dem und Dem zusammen sein; und wenn sichs irgend verantworten läßt, steht dem nichts im Wege. Aber es gibt eben doch Rücksichten : man könnte ja nie und nimmer Goethe und Bielschowsky zusammensperren. Nein, hier unten ist man wohl gerecht, aber nicht unnötig grausam. – Oder Dich dereinst mit Fouqué –« fügte sie hinterhältig hinzu, und zappelte sich vor Vergnügen die Beine lang, als sie mein Gesicht sah (das hätte sie aber besser nicht tun sollen !) – : »Also die Länge ist ja geradezu polizeiwidrig !« entschied sie entzückt=entrüstet. (In der Tausendstundenuhr ringelreihten frohlockend die glitzernden Flaschenteufelchen. Sie sprach etwas zu einem Loch in der Wand; schloß die ins Unsichtbare tapezierte Klappe. Und entnahm gleich darauf einer Art Briefkastenschlitz 2 vorgewärmte Frotteehandtücher). »Und jetzt gehen wir schlafen : morgen iss auch noch ein Tag. – Sonntag; da brauch ich nich rauf.« / Später »Nö, n Pyjama für Dich hab ich nich.« Nebeneinander im Dunkeln. Nur die üblichen Abstrakta der Straßenlaternen kamen durch den dünnen Vorhang. Der Kunstwind jaulte vorbildlich. Draußen war auch der Nebel wieder verschwunden. Sie gähnte behaglich und leer. »Nö – man kann sich den Körper aussuchen : fast Alle nehmen ihre Leiblichkeit, wie sie um die Anfang Zwanzig war, wo man gut in Form war. Manche Männer auch ihre 17 : wegen m Rasieren. – Oach.« Sie legte ein glattes faules Armtau über meinen Brustkasten; am Ende wars aufgedrieselt zu schlappen Fingern. Aus Schlaftrunkenheit die letzte Antwort: »Die ersten 10 Jahre wird meist nur ge …« (und kicherte, als ich sie auf den Mund klopfte) : »Anschließend geht man gewöhnlich als Einsiedler – da gibt’s extra Buntsandsteinwüsten und Salzseen; Versteinertes und so –« (Sie versuchte vergeblich, die Faust tiefer in meine Achselhöhle zu bohren; fand aber doch keinen rechten Platz für ihren Arm und gabs murrend auf) : »Dann fangen sie meist an zu saufen; toben und lästern : auf die Unsterblichkeit; die ganzen Einrichtungen hier unten. Danach verfallen sie in ein bockiges Dösen; auch ein paar ganze Jahre – und dann werden sie allmählich wieder normal. Nehmen Stellen an. Kümmern sich um Arbeit. Und trösten sich mit dem Gedanken, daß ›ewig‹ eben schließlich doch nichts währt : schon Zweitausendjährige sind ja nicht allzu häufig bei uns.« Sie bewegte sich ungnädig, schnob schlafsüchtig ›Hn‹. Tat auch ihr linkes Knie noch zu den meinen; bürstete einmal mit dem Kopf meinen Hals (und entschlummerte. Auch ich beschloß, das Wundern auf morgen zu verschieben). – ||| Arno Schmidt, TINA oder über die Unsterblichkeit. Mit Radierungen von Eberhard Schlotter -- source link
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